„Das Land braucht die Stadt und die Stadt braucht das Land“

„Das Land braucht die Stadt und die Stadt braucht das Land“

SPD-Landtagskandidat Rainer Schreiber diskutiert mit SPD-Fraktionschef Dr. Rolf Mützenich über die Entwicklung des ländlichen Raumes.

Bad Soden-Salmünster / Main-Kinzig (SPDWS/ja). Eine ungewohnte Anordnung der Stühle im Saal erwartete die Gäste, die Schreibers Einladung zum Austausch mit SPD-Fraktionschef Mützenich mit dem Titel „Gleiche Chancen in Stadt und Land: Was dafür jetzt zu tun ist“ gefolgt waren. In der Mitte des Generationentreffs im Schleifrashof wurden fünf Diskutanten sich gegenübersitzend angeordnet. In ihrer Runde ein freier Stuhl. Kreisförmig darum platziert die Stühle der Zuhörer. Die sogenannte „Fishbowl“ (englisch für Fischglas)-Methode sieht vor, dass der innere Ring des Podiums durch Zuhörer, die aktiv zur Diskussion beitragen wollen, besucht werden kann. Jeder darf mitdiskutieren und muss nicht von außen Redebeiträge oder Fragen anmelden.

Moderiert durch Oliver Habekost, stellvertretender Vorsitzender der SPD Main-Kinzig, schlugen die Diskutanten verschiedene Töne in Hinblick auf das Leben in einer ländlich geprägten Region an. Gern würde man hier leben – so waren sich die meisten einig – da man die Nähe zur Familie und zum Freundeskreis schätze, die Natur und das Lebensgefühl. Auch nach Jahren in der Stadt, würde es die hier geborenen immer wieder zurückziehen. Claus Marzluf, der sein Leben in Bad Homburg und Frankfurt verbrachte, ist sogar mit seinem gesamten Architekturbüro bewusst in den ländlichen Raum, nach Flörsbachtal, gezogen, um seinen Mitarbeitern eine höhere Lebensqualität bieten zu können. Er betrachtet das Arbeiten im ländlichen Raum als Standortvorteil.

Klar wurde aber auch die Kehrseite des Landlebens benannt: Mangelnde Infrastrukturen im Bereich schnelles Internet und ÖPNV, lange Wege und aussterbende Ortskerne seien Herausforderungen, die strukturell angegangen werden müssen. Nur so könne der ländliche Raum auch langfristig für Arbeitnehmer und deren Familien attraktiv bleiben.

Theresa Schmidt aus Sinntal bemängelte die Schwierigkeiten, die sich aufgrund verspäteter Regionalzüge ergäben. Man könne zum Teil nicht kalkulieren, wann die Kinder von der Schule nach Hause kämen oder ob sie den Anschlussbus noch erreichten. Oft müssten sie in kilometerweit entfernten Orten vom Bahnhof abgeholt werden, wenn sie beispielsweise ein Gymnasium besuchten. Von allen Kindern, die im ländlichen Raum wohnten, würden sich nur zehn Prozent für den Besuch des gymnasialen Zweiges entschließen. Dies hätte oft mit der Tatsache zu tun, das weite, zum Teil schlecht angebundene Wege auf sich genommen werden müssten. Dieses Ungleichgewicht zwischen den Schulzweigen im Vergleich zu der in der Stadt lebenden Bevölkerung bedeute aber gleichzeitig einen strukturellen Nachteil für die Landbevölkerung.

Mützenich kann diese Lebenswirklichkeit auch als geborener Kölner nachvollziehen: er sei als Schüler stets in das 18 Kilometer entfernte Gymnasium geradelt oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren.

Rainer Schreiber sah dringenden Handlungsbedarf zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Er blickte auf seine Bürgermeistertätigkeit im Spessartort Jossgrund zurück. Zu Beginn seiner Amtszeit sei er mit der Aussage „Dein Ort stirbt aus“ konfrontiert worden, welche ihn motiviert hatte, dafür zu kämpfen, dass sein Heimatort stark bleibe. Mit einem Leerstandskataster habe er zunächst eine Bestandsaufnahme gemacht und dann strukturell begonnen die „Basics“, wie ein Ärztehaus oder die Nahversorgung neu zu gestalten und so für die Zukunft zu sichern. Zu oft würden in der Stadt die Entscheidungen fürs Land getroffen. Das müsse sich ändern, so Schreiber.

Leon Roskoni, der als selbstständiger Unternehmer in Birstein Medialösungen anbietet, bewertet die mangelnde Internetversorgung zwar nicht als Hinderungsgrund sich im ländlichen Raum anzusiedeln, trotzdem sei es ein guter Ausblick, dass ein Glasfaseranschluss in Kürze verfügbar sei.

Er stellte zudem fest, dass Klimaschutz im ländlichen Raum schwieriger umzusetzen sei als in der Stadt. Rosokoni kritisierte fehlenden Strukturen für schnelle Lieferketten, beispielsweise für Ersatzteile von E-Autos. Wer sich auf dem Land ein E-Auto anschaffe, müsse damit rechnen, dass bei Reparaturen Ersatzteile über Monate nicht geliefert werden können, da entsprechende Lieferwege gar nicht vorgesehen seien. Menschen seien aufgerufen aktiv zur Klimawende beizutragen und würden dies auf dem Land aber nur schwerlich tun können. Problematisch sei nur, wenn Fördergelder ungleich zwischen Stadt und Land oder großen und kleinen Betrieben verteilt würden. So hätten beispielsweise bei den Fördergeldern zur Umsetzung des SaubereFahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz um energieeffiziente ÖPNV-Fahrzeuge anzuschaffen, meist größere Betriebe Vorteile bei der Vergabe. Dies schwächte den Effekt der Klimawende im ländlichen Raum.

Trotzdem sei es essenziell Förderinitiativen zu erhalten – hier waren sich die alle Beteiligten einig. Sie senkten die Hemmschwelle für Betriebe innovative Projekte anzugehen, zeigte sich Marzluf überzeugt. Er gab Mützenich den Gedankenanstoß mit, in Zukunft Bundes- und Landesbehörden ohne Publikumsvekehr von der Stadt aufs Land zu verlegen. Das sichere Arbeitsplätze auf dem Land und stärke durch den Familienmitzug die Region.

Dr. Ulrich Freund, Ehrenbürger der Stadt Bad Orb und ehemaliger Chef der Reha-Kliniken „Küppelsmühle“, zeigte sich gelassen. Der Fachkräftemangel, der vor allem auf dem Land spürbar sei, könne durch innovative Ansätze verbessert werden. Konkret nannte er die Idee Mütter, die mehrere Kinder großgezogen hätten, unkompliziert zu Kindergartenerzieherinnen ausbilden zu lassen.

Der freie Stuhl im Zentrum des Fishbowls wurde vor allem dafür genutzt, die Lage des ÖPNV in der Region zu bemängeln. Stefan Ziegler, Kurdirektor der Stadt Bad Soden-Salmünster beklagte den Zustand des örtlichen Bahnhofs. Dieser solle seit über zehn Jahren saniert und barrierefrei gestaltet werden. Planung und Finanzierung stünden, doch aufgrund fehlender Umstetzungplaner bei der Deutschen Bahn wurde das Projekt in die ferne Zukunft verschoben. „Hier wird der Fachkräftemangel konkret sichtbar“, so Ziegler. Zudem gäbe es keine zufriedenstellende Nahverkehrsverbindung zwischen Bad Soden-Salmünster und dem nur zwölf Kilometer entfernten Bad Orb.

Schreiber stimmte dem zu. Als Mitglied des Kreistags habe er einem neuen Nahverkehrsplan zugestimmt. Es ist essentiell, dass die Taktung von Regionalbahnen und -bussen beispielsweise auch in Ferienzeiten gleichblieben. Hierauf müssen sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlassen können.

Mützenich könne den Frust verstehen, erklärte er. Nicht zum ersten Mal höre er Berichte dieser Art. Aus seiner Heimatstadt Köln kenne er jedoch ähnliche Missstände im Bereich des öffentlichen Verkehrs. So gab es am Bahnhof Köln Messe-Deutz über Jahrzehnte nur einen Lastenaufzug für Menschen mit Rollstuhl. Doch er nehme mit dem Beschluss zum 49€-Ticket auch einen Mentalitätswechsel wahr. Es gehe voran.

Im Bundestag, berichtete Mützenich, gäbe es SPD-Angeordnete aus dem ländlichen Raum, mit ihrer Expertise und ihrem Wunsch die Region voranzubringen, konzentrierte Debatten im führten.

Schreiber äußerte seine Begeisterung ob des regen Austausches und der vielen Themen. Die Diskutanten und Gäste seien ein Abbild der Gesellschaft. Er zeigte sich entschlossen: „Ich kämpfe für den ländlichen Raum“. Dieser habe viel zu bieten. Städte platzten aus allen Nähten und viele Menschen wünschten sich das Leben auf dem Land. Sie sollen hier aber auch gerne wohnen wollen. Die angesprochenen Probleme und Vorschläge wolle er mit in den Wahlkampf und nach Wiesbaden nehmen, versprach Schreiber.

Moderator Oliver Habekost sprach Mützenich eine Dauereinladung in den Wahlkreis aus und Schreiber überreichte regionale Köstlichkeiten als Dank für sein Kommen.

Zum Bild / Foto: Wahlkampfteam Rainer Schreiber

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