„Jüdisches Leben sichtbar machen“

„Jüdisches Leben sichtbar machen“

Ein Beitrag von Anette Vinnen (Text) – Bilder: Stadtarchiv Gelnhausen und Zentrum für Regionalgeschichte des Main-Kinzig-Kreises.

Gelnhausen (GN/av). Wieder einmal wird uns drastisch unsere historische Verantwortung der Erinnerung und Mahnung deutlich vor Augen geführt. Gelnhausen fehlt bisher ein demgemäßer Anlaufpunkt, sich mit der mehr als 700jährigen Geschichte jüdischen Lebens aktiv auseinanderzusetzen und ihrer zu Gedenken.

Ein wichtiger Schritt, sichtbare Zeichen zu setzen, liegt 15 Jahre zurück. Seit Oktober 2008 hat Gelnhausen auf der Grundlage eines einstimmigen Magistratsbeschlusses Anteil am größten dezentralen Denkmal für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung, den „Stolpersteinen“ des Künstlers Gunter Demnig. Dass sie noch immer verlegt werden können, ist Ergebnis jahrzehntelanger Forschung und intensiver Spurensuche zu verdanken. Immer wieder kommen Nachfahren der Opfer nach Gelnhausen auf der Suche nach ihren Wurzeln.

Im Text: Blick auf die Synagoge und das Gebäude Brentanostraße 12 (links). © Anette Vinnen.

Dem Novemberpogrom 1938 entging die Synagoge nur deshalb, weil ein Gelnhäuser Kaufmann das Gebäude zuvor gekauft hatte und dort seine Waren lagerte. Der Zufall der Geschichte führte zum Erhalt des vermutlich einzig erhaltenen barocken „Thoraschreins in situ“ Hessens. Das Gebäude steht seit 1978 unter Denkmalschutz.

Zum Synagogenbezirk gehörten, um einen Hof gruppiert, ein Gemeindehaus mit Schulraum und Wohnung des Lehrers, ein Garten, ein Brunnen und die Mikwe für das rituelle Bad. Abgeschlossen war der Gebäudekomplex durch eine Immunitätsmauer. 1975 wurde dieses Ensemble durch den Abriss aller Gebäude, außer der Synagoge selbst, zerstört. Die Mikwe wurde zur Stabilisierung der südlichen Außenwand dauerhaft verschlossen, der vormals vorhandene Brunnen ist nur noch an dem in den Boden eingelassenen Betondeckel zu erkennen.

Im Stadtmuseum erinnert eine Ausstellungseinheit an das Leben und Schicksal der Gelnhäuser Jüdinnen und Juden. Die gezeigten Inhalte können nur einen ersten Impuls setzen, um sich näher mit ihrer Geschichte zu befassen.

Die Überarbeitung der seit der Eröffnung der Synagoge im Jahr 1986 bestehenden Ausstellung ist überfällig. Die hierfür bisher genutzte Fläche wird der reichhaltigen und tragischen Geschichte der jüdischen Glaubensgemeinschaft nicht gerecht. Christine Raedler vom Zentrum für Regionalgeschichte und Anette Vinnen vom Stadtarchiv Gelnhausen wollen sich in den nächsten Jahren dieser Aufgabe annehmen. Ziel ist die Erarbeitung einer nach aktuellen Erkenntnissen der Gedenkstättenpädagogik ausgerichteten Ausstellung im Eingangsbereich der ehemaligen Synagoge und der Frauenempore.

„Wesentlich ist der Einbezug des noch vorhandenen Rabbiner- und Gelehrtenwohnhauses der Jüdischen Gemeinde auf dem Nachbargrundstück in der Brentanostraße 12. Angedacht ist hier die Vertiefung der Ausstellung durch die Fokussierung einzelner persönlicher Schicksale und die Etablierung eines Interreligiösen Treffpunkts. Das historische Gebäude bietet das Potential, ein Ort für gemeinsamen Austausch und Diskussionen, Workshops und Ausstellungen zu werden“, so Bürgermeister Daniel Chr. Glöckner.

  • Mikwe: „Mikwe, deutsch früher Judenbad, bezeichnet im Judentum das Tauchbad, dessen Wasser der Erlangung ritueller Reinheit durch Untertauchen dient. Die dadurch erreichte Hygiene war ein gesundheitlich positiver Nebeneffekt. Eine Mikwe dient – durch Untertauchen in entsprechendes Wasser – der rituellen Reinigung von Personen und Gegenständen, die im religiösen Sinne „unrein“ geworden sind oder die sich noch nicht in einem Zustand der „spirituellen Reinheit“ befinden.“ Quelle: Wikipedia.org

Zu den Bildern: Oben: Schüler:innen der Jüdischen Religionsschule 1934 auf den Stufen der Synagoge © Zentrum für Regionalgeschichte des Main-Kinzig-Kreises.

Im Text: Blick auf die Synagoge und das Gebäude Brentanostraße 12 (links). © Anette Vinnen.

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