Scherer in Orb: „Hab‘ mein Leben als Kind begonnen“

Scherer in Orb: „Hab‘ mein Leben als Kind begonnen“

Bei Scholz allerdings muss Scherer passen: „Ich weiß gar net, ob der spricht?“

Bad Orb (ae). „Übern Kübbel drübber nübber“ ist er gekommen, der Unterfranke aus Schöllkrippen, der inzwischen in Frankfurt wohnt und sein perfektes Hessisch humorvoll zur Schau und auf die Bühne trägt: Johannes Scherer bringt seit zwanzig Jahren in Comedyform zu Gehör, was „das Volk“ so denkt. So auch jüngst in Bad Orb. Begeisterter Applaus, immer wieder lang anhaltende, johlende Zustimmung – egal, ob es um Kreuzfahrten, Dialekte, sadistische Lehrer oder „den sprechenden Ärmelschoner“ Eduard Zimmermann geht. Scherer ruft Erinnerungen wach, und dank seines Outfits mit ausgewaschenem T-Shirt und bunt gemusterter Hose wirkt er wie der Nachbar, der sich auf ein Bier am Samstagabend im Wohnzimmer hat blicken lassen. Sein Hessisch – akzentfrei möchte man kalauern. Aber da es einige Gäste auch von weiter her in die Konzerthalle verschlagen hat, kommt gleich eingangs das Versprechen: „Wenn ihr was net versteht: Einfach vorrufen. Ich blend dann Unnertitel ein.

Muss er nicht. Die Fans lassen erkennen, dass sie nicht nur verbal, sondern auch inhaltlich mit „ihrem Johannes“ auf einer Welle liegen. Der beginnt sein Programm mit einem kompletten Rückblick auf seine Vita: „Ich hab mein Leben als Kind begonnen…“ Zwanzig Kilometer weg von Bad Orb sei das gewesen, Luftlinie noch weniger. „Ich war ein Sanostol-Kind. Das war so ein pappsüßer Saft, der stand im Reformhaus neben so einem verschleierten Mädchen vom Rotbäckchen.“ Sanostol, so Scherer, sei das „Gegenteil von dem Ritalin“ gewesen. Wie gut sich die mehr als 350 Gäste des Abends an die damalige Werbung erinnern, wird deutlich: Der Werbe-Jingle wird aus hunderten Kehlen mitgesungen. Damals, so der preisgekrönte Radio- und Fernsehmoderator und Comedian, „hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich Comedian oder Radio-Fuzzi werd‘.“

Und doch war es als Kind – als Asthmatiker musste Scherer mehrfach zu Kuraufenthalten nach Süd- und Norddeutschland -, als seine Fähigkeit erstmals Beachtung fand, Dialekte nachzumachen. Was ihm half, mit seinem Sportlehrer, „einem Sadist der ganz alten Schule“, klarzukommen, dessen fränkischen Dialekt er zur Begeisterung der Klassenkameraden zu imitieren wusste. Am Veranstaltungsabend in Bad Orb im Rahmen der „Sommerabende im Park“ dürfen denn auch einige Parodien nicht fehlen: Die „Jungs aus der DFB-Kantine“, Inge Meysel, Rudolph Moshammer, auch Kohl, Schröder und Merkel defilieren – bei Scholz allerdings muss Scherer passen: „Ich weiß gar net, ob der spricht?“ Gott sei Dank gibt es da ja den Karl Lauterbach… Was Scherer zur Aufforderung: „Immer schön in die Armbeuge lachen“ und zum Thema Corona bringt.

Mit Grausen erinnert er sich daran, dass in den Pandemiezeiten Veranstaltungen per Streaming zum Publikum gesendet wurden. „Comedy und Sex, man kann beides allein machen. Aber es ist schon schön, wenn was zurückkommt. Gut, beim Sex ist es blöd, wenn´s Gelächter ist.“ Beim Autokino in Düdelsheim war das Aufblenden der Scheinwerfer der verdiente Applaus – was Scherer mit in die heutige Zeit genommen hat. Wenn jetzt auf der Autobahn einer Lichthupe macht, wertet er das als Beifall…

Geschichten aus der eigenen Familie dienen dem Comedian „als wahre Fundgrube“ für sein Programm. Die Oma, die ihre vermeintlichen Erkrankungen in den Medizinsendungen im Dritten erkennt, der hypochondrische Vater, die Episode in der ultramodernen, öffentlichen Toilette in Darmstadt, der „Blaue Bock“ mit Heinz Schenk – im Programm zum zwanzigjährigen Bühnenjubiläum bringt Scherer Auszüge aus seinen zurückliegenden Bühnenprogrammen und trifft damit den Nerv des Publikums, das sich zu großen Teilen an die eigene Geschichte erinnert fühlt. Etwa, wenn es um das Badewasser geht, das ausschließlich an Samstagen nicht nur einem Familienmitglied zur Verfügung steht.

Weit mehr als zwei Stunden, sehr viel Applaus und mehrere Zugaben lang steht Scherer auf der Bühne und erzählt vom „Blackfacing“ („Ich bin schuldig“) in seiner Kindheit, in der er als der Dunkelhäutige der Heiligen Drei Könige unterwegs war, weil der „einen Wollturban aus Abrazo-Stahlwolle“ getragen und damit die Ohren geschützt hat. Von den ersten Schnäpsen mit elf – „es war schließlich kalt“. Davon, dass er „die unglaubliche Distanz von 850 Metern“ damals allein zur Schule laufen durfte. Vom Unsinn des Wortes „Selbstbedienung“, denn „entweder ich werde bedient, oder ich mache es selbst“. Er fragt sich laut, wie man es damals im VW-Käfer bis nach Rimini schaffen konnte – und er räumt ein: „Ich habe zum fünften Mal genullt im Februar, und ich verstehe vieles nicht mehr, obwohl ich schon versuche, Schritt zu halten.“ Aber obwohl er „mit einigen Haushaltsgeräten in einer WhatsApp-Gruppe“ sei: „Das Ende ist nah“ angesichts von Kühlschränken mit Touchscreen, die zeigen, was der Inhalt des Gerätes ist, da ist sich Scherer sicher. Und doch: Über ein nettes Feedback „auf den asozialen Netzwerken“, da würde er sich schon freuen…

Share