Drei ausverkaufte Weihnachtsführungen in Gelnhausen – Perfekte Einstimmung aufs Fest mit Standbildern und zwölf Spielszenen.
Gelnhausen (GN/ewe). Pfarrer „Schommburch“ sucht kurzfristig jemanden, der die Weihnachtsgeschichte „uff hessisch“ erzählt. Ein bayerischer Steinmetz mit unverständlichem Dialekt findet in Hessen die Liebe. Prächtige Engel veredeln unscheinbare Ecken der Altstadt und Hunderte von Menschen geben bei ihrem Anblick Laute des Erstaunens von sich. In der Reusengasse schüttelt Frau Holle die Kissen aus. Die Spessart-Räuber teilen heißen Apfelwein mit Passanten. Eine gewöhnliche Zuschauerin wird zur Maria und in einer Bude, die bereits für den Weihnachtsmarkt aufgebaut ist, ist das Kasperl-Theater eingezogen. Was ist da los in Gelnhausen? 2800 Menschen stimmten sich an drei Abenden bei der diesjährigen Weihnachtserlebnisführung auf das nahende Fest ein: Unter dem Motto „Hessische Weihnachten“ gab es an zwölf Spielstationen viel zu lachen, aber auch ernste Töne fehlten nicht.
Bürgermeister Christian Litzinger und Simone Grünewald, Abteilungsleitung Kultur, Tourismus und Medien, begrüßten im Rund des „Kranzes der Hoffnung“ die Gäste der drei ausgebuchten Weihnachtsführungen und dankten allen Helferinnen und Helfern, den Gästeführerinnen und Gästeführern, den Kostümverantwortlichen aus dem Fundus, dem Team des Fachbereichs Kultur und Tourismus und dem Betriebshofs, die für den reibungslosen Ablauf des vorweihnachtlichen Ereignisses sorgten. Der Rathauschef übergab nach einigen einleitenden Worten an die Moderatorinnen, die ihre Gruppen durch die festlich illuminierte Altstadt führten und um das Aufstellen in geordneten Halbkreisen vor den Szenerien baten.
In einem Hof am Stephanusberg warfen die Gäste einen Blick in ein weihnachtlich geschmücktes Wohnzimmer und erfuhren dort mehr über die doppelte Bedeutung der „Eintracht“ zum Weihnachtsfest. Gotische Engel tauchten am Halbmond aus der dunklen Nacht auf und auf dem Weg zur nächsten Spielszene am Stephanusberg bot sich den Teilnehmenden ein spektakulärer Blick auf die angestrahlte Marienkirche und die Stadt. Von dort ging es direkt ins kanadische Quebec des Jahres 1781. Der deutsche Offizier General Friedrich Adolf Riedesel zu Eisenbach befehligte dort deutsche Söldner im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Er wurde von seiner Frau Friederike begleitet, die für die heimwehleidenden Truppen den ersten Weihnachtsbaum auf amerikanischem Boden aufstellte.
Die Ungeduld seiner Gattin bekam Dr. Faust zu spüren, der sich am Haitzer Tor einigen Experimenten im hauseigenen Backofen widmete und damit verhinderte, dass der Weihnachtsbraten gegart werden konnte. Das gelangweilte Töchterchen trug nicht gerade zur Verbesserung der Stimmung bei und dann tauchte auch noch Mephisto auf. Vom Seelenfang ging es an Engeln und Erzgebirgsfiguren vorbei zu einer romantischen Szene am Steinbrunnen, wo Wilhelm Grimm von seinem Dortchen ein wunderschönes Märchen hörte. Die Szene war dem im vergangenen Jahr verstorbenen Burkhard Kling gewidmet, der die Erlebnisführungen in Gelnhausen mitentwickelte und das Brüder-Grimm-Museum in Steinau leitete.
Wo sonst fleißige Wichtel in ihrer Schänke gegenüber der Marienkirche Heißgetränke für die Teilnehmenden bereithielten, zapften diesmal furchterregende Spessarträuber heißen Äbbelwoi. Was mit den Wichteln geschehen war, verrieten sie nicht, aber „Minnesoda“ sorgten mit Trinkliedern wie gewohnt für gute Stimmung, bevor es zur Marienkirche weiterging. Dort trotzte eine Hirtenfamilie an einem leider nur leuchtenden, aber nicht wärmenden Feuer der Kälte. In der Kirche trafen die Gruppen auf einen miesgelaunten himmlischen Boten, der keine Lust mehr auf Weihnachten hatte. „Mir tun die Flügel weh vom Fliegen“, klagte er seinem Kollegen aus der Hölle, der ihm einen „Flyout, einen Burnout für Engel“ attestierte. Nach großem Gejammer rafften sich die beiden schließlich doch noch dazu auf, die Weihnachtszeit wie gewohnt zu wuppen. Auf dem Weg zur Prozessionskapelle bot sich den Teilnehmenden im Marienportal ein weiteres Weihnachtskarten-Fotomotiv: Dort war der Annenaltar aus der Marienkirche mit lebendigen Figuren nachgestellt.
Weit zurück in der Zeit reisten die Gruppen in der Prozessionskapelle und kamen 1386 an. Zahllose Handwerker erweiterten die Marienkirche, darunter auch Meister Wenzel. Gertrud verstand – im Gegensatz zu ihrer Mutter – nicht nur seinen bayerischen Dialekt, sondern auch die Sprache seines Herzens. Besonders interessant: Das Sandstein-Werkstück im Mittelpunkt der Szene wird gegen Gebot verkauft und der Erlös fließt in den Erhalt des Jugendhauses Steitz.
Am Ende der Szene wurde wie jedes Jahr für die Lebenshilfe gesammelt.
Harter Zeitschnitt: Es ging ins Jahr 1969, wo sich in der Petersiliengasse drei Frauen trafen, die über den „Zaubertrank“ Äbbelwoi philosophierten und sprachliche Barrieren überwanden. Hessische und französische Begriffe können leicht verwechselt werden – statt „Schoppe“ wurde da schon mal „Chopin“ verstanden.
Frau Holle und ihre Engel reichten in der Reusengasse Dominosteine und schokoladige Goldtaler zur Stärkung, bevor die Lachmuskeln im Foyer des Rathauses strapaziert wurden. Dort hatten Heiner und Mariechen alle Vorbereitungen für das Weihnachtsfest getroffen, doch ein Anruf von Pfarrer Schomburg sorgte für Diskussionen über den Ablauf der Weihnachtsgeschichte. Zumal Mariechen den Heiner mit ihren absurden Wortbeiträgen immer wieder „neweraus“ brachte…
In einer Holzbude nahe der Peterskirche erwachten die Handpuppen Kasper, Polizist und Co. zum Leben, und wurden mit einem lauten „Tri-Tra-Trullala“ begrüßt. Eine gestohlene Gans, die eigentlich als Weihnachtsbraten enden sollte, sorgte für Aufregung.
Worte der Verzückung entlockte die belebte Winterlandschaft am Standesamt den Gästen, bevor sie im Museumshof mitten in ein hessisches Weihnachtsspiel des 15. Jahrhunderts gerieten. Im Mittelalter konnten viele Menschen nicht lesen und so war es üblich, religiöse Inhalte mittels Spielszenen zu vermitteln. Die beiden Gelnhäuser Bürgerinnen jener Zeit, die das Weihnachtsspiel aufführen sollten, hatten mehr als zwei Rollen zu besetzen und verdonnerten kurzerhand einige Zuschauerinnen und Zuschauer zum Mitspielen. Verzögerte Einsätze und Schwierigkeiten mit der hessischen Mundart sorgten dabei für viel Spaß.
Ernste und nachdenkliche Töne schlug wie gewohnt die „20er-Jahre-Gruppe“ am Holztor an. Ilse, Ruth und Margarete vertraten zwar unterschiedliche politische Lager, warnten jedoch nach dem Besuch einer Wochenschau im Jahr 1930 einhellig vor allem vor Gleichgültigkeit. Dabei setzen sie richtungsweisende politische Stimmungen der damaligen Zeit in Bezug zur Gegenwart. Was bedeutet es, dass die NSDAP zweitstärkste Kraft bei der Reichstagswahl geworden ist? Wie werden rechte Kräfte bei der Bundestagswahl 2025 abschneiden?
Weitere Engel am Stephanusberg und in der Töpfergasse und die Eiskönigin mit Gefolge am Obermarktbrunnen komplettierten die herrlichen Standbilder und entließen die begeisterten und weihnachtlich gestimmten Gäste in die Adventszeit.
Zu den Bildern: Alle Fotos Stadt Gelnhausen.