Podiumsdiskussion gab tiefe Einblicke in den Alltag – „Jeder kann im Leben mal in schwierige Situationen kommen“.
Hanau / Main-Kinzig (jm). Das Kulturforum der Stadtbibliothek in Hanau hatte seit Bestehen in seinen aktuellen Räumlichkeiten seit September 2015 so manch interessante Veranstaltung zu Gast. Zum zweiten Mal nach 2017 nutzte LICHTBLICK, die Stiftung der ev. Marienkirche, die Möglichkeit, sich wieder mal durch eine Podiumsdiskussion mit verschiedenen Gästen über soziale Notlagen auszutauschen. Beschäftige sich die Runde vor sieben Jahren mit Menschen, die bedingt durch ein geringes Einkommen große Schwierigkeiten haben, Zugang zum Wohnungsmarkt zu finden, ging es diesmal um die aktuelle Situation der Hanauer Tafel.
Als Moderatorin hatten Jörg Mair und Annette Geier-Neugebauer, der Geschäftsführer von LICHTBLICK und die Leiterin der hiesigen Tafel, Yvonne Backhaus-Arnold (Redaktionsleiterin des „Hanauer Anzeigers“) gewonnen. Neben den beiden Sozialdezernenten des Main-Kinzig-Kreises und der Stadt Hanau, dem Ersten Beigeordneten Andreas Hofmann und Bürgermeister Dr. Maximilian Bieri, standen insbesondere drei Gäste im Mittelpunkt. Diese engagieren sich Woche für Woche seit vielen Jahren ehrenamtlich für die Tafel (ansässig in der Ramsaystr. 17). Die sich mittlerweile im (Un)ruhestand befindliche Frauenärztin Dr. Stefanie Keilig ist Mitglied im Stiftungsrat und wirbt regelmäßig mit dem Lions-Club im Rahmen der ‚Ein Teil mehr-Aktion‘ vor dem tegut-Markt an der Bruchköbeler Landstraße dafür, das Menschen Lebensmittel im Markt kaufen, aber der Tafel überlassen.
Klaus-Dieter Lux war einst in der freien Wirtschaft in leitender Position und fährt heute mehrfach die Woche morgens mit ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen die ca. 60 Märkte in Hanau und Umgebung ab, damit am Nachmittag das Warenangebot für die Kunden der Hanauer Tafel zur Verfügung steht. Der letzte in der Reihe ist Oliver Hotz, von Beruf Koch, nach eigener Aussage einst selbst in einer schwierigen Lebenssituation und ehemaliger Kunde der Tafel, der derzeit im Außenbereich die ca. an drei Tagen pro Woche 600 wartenden Menschen koordiniert, so dass alle gleichermaßen versorgt werden.
Zu Beginn der Veranstaltung sahen die Besucherinnen und Besucher den dreiminütigen Imagefilm des renommierten Filmemachers Kolja Erdmann, der mit den Hauptdarstellern Wolfgang Frisch (Vorstandsvorsitzender von LICHTBLICK) und der Klientin Jasmin Bergsträßer bewusst auf zwei kleine biografische Geschichten setzte, die in der Hanauer Tafel münden. Im Anschluss stellte die geschäftsführende Pfarrerin der Stadtkirchengemeinde Hanau in einem kurzen Grußwort die Historie von LICHTBLICK, der Hanauer Tafel und den Bezug zur Marienkirchengemeinde dar.
Danach übernahm Yvonne Backhaus-Arnold. Die Berichte aus der Runde der Runde der Ehrenamtlichen gaben Einblicke in die aktuelle gesellschaftliche Situation. So sah sich Stefanie Keilig immer mal heftiger Kritik ausgesetzt, da Kunden an den Samstagen die Farben der LIONS (blau-gelb) als Spendenaktion für die Ukraine deuteten und so ihren Unmut äußerten. „Das seien teilweise angespannte Situationen,“ so Keilig, die sich auch im Kirchenvorstand der Stadtkirchengemeinde engagiert. Klaus-Dieter Lux machte auf den deutlichen Rückgang von Lebensmitteln aufmerksam. „Corona hat die Digitalisierung erkennbar vorangetrieben, vor der Pandemie habe ich bei unseren Touren 1,5 Wagenladungen an Lebensmitteln mitnehmen können, heutzutage ist der Wagen nicht voll. Das ist zu knapp,“ zeigte der Großkrotzenburger die Engpässe der Tafeln in Hanau und Deutschland auf. Auf die Frage, ob Kunde bei der Hanauer Tafel sein zu müssen mit Scham besetzt sei, entgegnete das Urgestein Oliver Hotz mit einem klaren Nein. Jeder könne im Leben mal in schwierige Situationen kommen.
Bürgermeister Dr. Bieri bejahte die Frage, ob es nicht ein Paradoxon sei, dass es Tafeln in Deutschland geben müsse. Er sieht derzeit keine bessere Lösung. Die Stadt Hanau unterstützt die Hanauer Tafel seit vielen Jahren mit über 72.000 Euro. Dies sah auch Andreas Hofmann so. Der Main-Kinzig-Kreis habe unlängst als freiwillige Leistung 200.000 Euro an Soziale Einrichtungen im Main-Kinzig-Kreis ausgeschüttet und werde LICHTBLICK auch nach der Kreisfreiheit weiter unterstützen.
Auch das Publikum wurde von Yvonne Backhaus-Arnold mit einbezogen. Für den Vermieter der Hanauer Tafel, Cliff Michaelis, machen die beiden Leiterinnen der Hanauer Tafel (Gordana Herzberger-Kapetanic weilte während der Veranstaltung leider im Krankenhaus und konnte das Lob nicht direkt hören) „einen sagenhaften Job“. Ebenfalls voll des Lobes zeigten sich Heike Arnold aus Neuberg und die Kreistagsabgeordnete Emine Pektas. Im Fazit waren sich alle Anwesenden einig. Feiern könne man nicht, dass es Tafeln in Deutschland gibt. Aber es gelte allen, die sich in der Tafelbewegung engagieren, Dank zu sagen.
Zum Bild: Zahlreiche Gäste wohnten der Veranstaltung bei: Der Landtagsabgeordnete Heiko Kasseckert, der Kreisbeigeordnete Jannik Marquart, die Stadträtin Isabel Hemsley, Altlandrat Charly Eyerkaufer, die Stellvertretende Dekanin Ines Fetzer, der Gründungsvorsitzende Pfarrer i. R. Horst Rühl, Katja Bernhard und Gerold Richter vom Vorstand des Hessischen Tafelverbandes sowie als besonderen Gast eine Frau der ersten Stunde, die heute 83jährige Marietta Becker, die 1999 als eine der ersten Ehrenamtlichen Lebensmittel noch im Keller des Dietrich-Bonhoeffer-Hauses ausgab.