Digitalisierung im Rettungswesen spart Zeit

Digitalisierung im Rettungswesen spart Zeit

Projekt Telenotarzt läuft in den Kreisen Main-Kinzig und Waldeck-Frankenberg mit großem Erfolg und hilft, Zeit und Ressourcen sinnvoller einzusetzen

Main-Kinzig (MKK/jkm). Eine falsche Bewegung, schon ist es passiert: Eine Sehne ist gerissen oder das Sprunggelenk gebrochen – große Schmerzen sind die Folge. In dieser Situation wird jede Minute für die Betroffenen zur großen Qual, bis endlich eine ausreichende Dosis Schmerzmittel verabreicht werden kann. Zwar ist es im Main-Kinzig-Kreis schon seit mehreren Jahren den Notfallsanitätern und Notfallsanitäterinnen durch den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst freigegeben, im Bedarfsfall bestimmte Schmerzmittel zu verabreichen, dies ist aus rechtlichen Gründen jedoch in Dosis und Art der Medikamente begrenzt. Dank Telenotarzt ist es den Notfallsanitätern jedoch möglich, schon vor Eintreffen des „fahrenden“ Notarztes und bevor das Krankenhaus erreicht werden kann, den Patientinnen und Patienten die Schmerzen möglichst vollständig zu nehmen.

Digitalisierung im Rettungswesen spart Zeit und hilft dabei, schneller starke Schmerzen zu nehmen

Denn der Notarzt kann von seinem volldigitalisierten Arbeitsplatz in der Zentralen Leitstelle in Sekundenschnelle in den Rettungswagen dazu geschaltet werden. Die Live-Übertragung von Audiokommunikation, Vitalparametern, Fotos und Videos von der Einsatzstelle ermöglichen eine schnelle Beurteilung der Lage und damit kann das hochqualifizierte, nicht-ärztliche Rettungsdienstpersonal vor Ort autorisiert werden, auch eine höhere Dosis an Schmerzmitteln oder andere benötigte Medikamente zu verabreichen. Seit der Freigabe einzelner Schmerzmittel an qualifiziertes Rettungsdienstpersonal vor gut zehn Jahren, der Einführung des Telenotarztes Ende 2018 als Pilotprojekt im Spessart mit  Ausweitung auf die westlichen Teile des Kreises 2020 und seit vergangenem Jahr auf das gesamte Kreisgebiet gehören vor Schmerz schreiende Patienten glücklicherweise der Vergangenheit an.

Das ist eine ganz entscheidende Verbesserung, die wir seit dem Start des Telenotarzt-Systems feststellen können“, erklärte Manuel Wilhelm, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst, bei einem Besuch von Landrat Thorsten Stolz und Erster Kreisbeigeordneter Susanne Simmler in der Zentralen Leitstelle des Main-Kinzig-Kreises, wo Telenotarzt Mumi Abou-Taleb den Ablauf eines Telenotarzt-Falles Besuchern aus dem Kreis Waldeck-Frankenberg an einem Beispiel verdeutlichte. 

Wir sind mit dem Projekt Telenotarzt hochzufrieden und sehen an den Zahlen, dass das Angebot sehr gut genutzt wird“, erklärte Landrat Stolz dem Ersten Kreisbeigeordneten Karl-Friedrich Frese, der zusammen mit Dr. Rudolf Alexi, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst, und Gerhard Biederbick, Fachdienstleiter für den Rettungsdienst in Waldeck-Frankenberg, nach Gelnhausen gekommen war, um sich über das Projekt auszutauschen und auch einen Blick auf die Entwicklungsmöglichkeiten zu werfen. Denn der Kreis Waldeck-Frankenberg ist seit drei Jahren an den Telenotarzt im Main-Kinzig-Kreis angekoppelt. Das heißt, dass von Gelnhausen aus auch deren rettungsdienstliche Einsätze bei Bedarf begleitet werden.

Seit 2019 steigen im Main-Kinzig-Kreis die Telenotarzt-Konsultationen kontinuierlich an. Von rund 300 im Jahr 2019 auf rund 650 im Jahr 2022. „Diese Zahlen zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind und ein Angebot vorhalten, dass es uns ermöglicht, wichtige personelle Ressourcen des Rettungsdienstes zu schonen, aber gleichzeitig werden mehr Rettungsdienstfahrten durch einen Notarzt oder Notärztin begleitet. So können schon erste wichtige Behandlungsschritte noch auf dem Weg ins Krankenhaus angeordnet werden, was natürlich auch den Menschen zugutekommt, die auf Hilfe angewiesen sind“, erklärte Gesundheitsdezernentin Susanne Simmler. „Der Telenotarzt ersetzt daher nicht den sogenannten bodengebundenen Notarzt, er spart aber Fahrtwege und Zeit in Fällen, in denen es tatsächlich lediglich um das Einholen einer notärztlichen Einschätzung geht, zum Beispiel bei der Beurteilung eines EKG-Befundes. Gerade im Hinblick auf die im ländlichen Bereich längeren Strecken zum nächsten Krankenhaus ist das ein wichtiges Thema, um für die Menschen eine bestmögliche Versorgung zu gewährleisten. Deshalb werden wir das System weiter ausbauen, da es uns hilft, den Rettungsdienst effizienter zu machen“, so Landrat Stolz.

Waldeck-Frankenbergs Erster Kreisbeigeordneter Karl-Friedrich Frese dankte den Vertretern des Main-Kinzig-Kreises für die federführende Übernahme der flächendeckenden Implementierung des Telenotarztes im flächengrößten hessischen Landkreis. „Bislang haben wir im Landkreis Waldeck-Frankenberg sieben Fahrzeuge im Einsatz. Der Ausbau für die nächsten zwölf Monate ist auf insgesamt 15 Fahrzeuge geplant. Damit werden wir, unabhängig von den bestehenden Notarztsystemen in den vier Mittelzentren, eine zusätzliche flächendeckende Versorgung mit einem Telenotarzt sicherstellen können“, berichtete Frese.

In dem Gespräch wurde auch deutlich, dass der Notruf mittlerweile immer häufiger auch bei nicht akuten, lebensgefährlichen Verletzungen gerufen wird – einfach deshalb, weil Haus- und Fachärzte keine zeitnahen Termine anbieten oder die Nummer des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes schlichtweg nicht erreichbar ist. „Das ist ein Problem, das sich zunehmend auf den Bereich der notärztlichen Versorgung ausweitet. Wir stehen deshalb auch mit der Kassenärztlichen Vereinigung in Kontakt, denn der Kreis ist für den Rettungsdienst zuständig, die Kassenärztliche Vereinigung für die niedergelassenen Haus- und Fachärzte“, so Landrat Thorsten Stolz.

Bei solchen „Fehlalarmierungen“ beraten die Rettungswagen-Teams die Menschen regelmäßig vor Ort, um ihnen zu verdeutlichen, was tatsächlich ein Notfall ist und welche Beschwerden tatsächlich in die Hausarztpraxis gehören. Statt längere Wartezeiten hinzunehmen, würden die Menschen aber lieber gleich den Notruf wählen. „Das verursacht unnötige Fahrten und belastet die Kapazitäten nicht nur im Rettungswesen, sondern auch in den Krankenhäusern“, erklärte Manuel Wilhelm. 

Der Telenotarzt-Arbeitsplatz verfügt über vier Monitore. Es werden alle benötigten Vitalwerte zum körperlichen Zustand eines Patienten oder einer Patientin übermittelt, der Telenotarzt ist über Telefon zugeschaltet und kann auch mit Video Einblicke ins Geschehen erhalten. Dabei ist das System so gekoppelt, dass es automatisch die richtigen Daten passend zur gerade aktiv geschalteten Telefonleitung liefert. Denn ein Telenotarzt kann parallel mehrere Fälle gleichzeitig begleiten. Die Verzögerungszeit liegt bei gerade einmal zwei Sekunden. „So ist es möglich, die Situation vor Ort zuverlässig und schnell zu beurteilen“, erklärte Manuel Wilhelm.

Das System sei einfach zu bedienen und funktioniere gut und zuverlässig, das habe eine Befragung des Rettungsdienstpersonals ergeben. „Auch die Patienten und Patientinnen fühlen sich von Rettungsdienstteam und Telenotarzt bestens betreut“, so Manuel Wilhelm. Die Prozesse innerhalb des Rettungswagens sollen weiter optimiert werden, insbesondere die Schnittstellen zu den Krankenhäusern sollen künftig digitalisiert werden, damit die bereits im Rettungswagen erfassten Daten zu den Patienten und Patientinnen bei der Übergabe unkompliziert sofort ins System der Krankenhäuser überspielt werden können. „Unser Ziel ist es, bald ganz auf Faxgeräte und Papier verzichten zu können“, erklärte Manuel Wilhelm.

Zum Hintergrund

Der Telenotarzt im Main-Kinzig-Kreis begann 2018 als Pilotprojekt im Spessart und wurde aufgrund der guten Ergebnisse im Jahr 2020 auf den westlichen Bereich ausgeweitet. Seit 2022 gibt es die telemedizinische Versorgung auch im gesamten Main-Kinzig-Kreis. Der Kreis Waldeck-Frankenberg ist seit drei Jahren an das System angekoppelt. Der Telenotarzt soll mittlerweile auch hessenweit eingeführt werden. beide Kreise arbeiten bei dem Projekt mit der Firma Umlaut Telehealthcare aus Aachen zusammen.

Zum Bild: Telenotarzt Mumi Abou-Taleb (Zweiter von links) erläutert den Ablauf eines typischen Einsatzes. Unser Bild zeigt (von links) Landrat Thorsten Stolz, Gerhard Biederbick (Fachdienstleiter Rettungsdienst (Kreis Waldeck-Frankenberg), Manuel Wilhelm (Ärztlicher Leiter Rettungsdienst MKK), Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler, Erster Kreisbeigeordneter Karl-Friedrich Frese (Kreis Waldeck-Frankenberg), Dr. Rudolf Alexi (Ärztlicher Leiter Rettungsdienst Kreis Waldeck-Frankenberg) und Dr. Wolfgang Lenz (Leiter Amt für Gesundheit und Gefahrenabwehr).

Share