Unser Freienhagen gewinnt vor Streitberg

Unser Freienhagen gewinnt vor Streitberg

Brachttal-Gemeinde im Regionalentscheid „Unser Dorf hat Zukunft“ knapp geschlagen / Text und Bilder: Torsten Gast

Brachttal-Streitberg (tg). Waldeck-Freienhagen hat den Regionalentscheid des 37. Wettbewerbs „Unser Dorf hat Zukunft“ für sich entschieden. Laut Landkreis präsentierte der Ort sich als „traditionsbewusst und zugleich modern, als solidarisch mit Bewusstsein für Fragen der Mobilität, des Klimawandels und der Zusammengehörigkeit sowie offen für Neubürgerinnen und -bürger.“

Zu einer Region zusammengefasst wurden im Wettbewerb 2021/2022 die Landkreise Waldeck-Frankenberg, Main-Kinzig und Hochtaunus, aus denen insgesamt 13 Dörfer teilnahmen. Sigrid Göbel vom Fachdienst Dorf- und Regionalentwicklung (Landkreis Waldeck-Frankenberg) moderierte die Abschlussfeier in der gut besetzten Freienhagener Stadthalle. Freienhagener Landfrauen und Landjugend bewirteten mit heimischen Produkten. Aufgelockert wurde der Abend durch die Traditionstanzgruppe der Basdorfer Landjugend, DJs sorgten nach Ende des offiziellen Teils für Stimmung.

Eröffnet wurde der Abend von der jüngsten Generation: vom Freienhagener Kindergarten, der einen „Regenbogentanz“ aufführte. Es folgte die Eröffnungsrede, in der Göbel, die Leiterin der aus acht Fachleuten zusammengesetzten Bewertungskommission, sich von dem Elan begeistert zeigte, mit dem zukunftsweisende Ideen beim Wettbewerb präsentiert wurden: „Dies ist nur möglich durch Ehrenamt, gute Ideen und Durchhaltevermögen, und ist ein Zeichen für eine intakte Dorfgemeinschaft.“

Kreativ bei der lebendigen Gestaltung des Heimatortes

Der Freienhagener Ortsvorsteher Martin Schwechel begrüßte den Saal „up Platt“. Er spannte einen Bogen von der Freienhagener Geschichte mit Einkommen aus Holzverkäufen aus dem Stadtwald bis zum heutigen Tage, wo der Verein Landfluchtwende e.V. „Friggenhagen widder graut“ (wieder groß) machen möchte. Nach dem zweiten Weltkrieg konnte der heute rund 750 Einwohner zählende Ort aus seinem Stadtwald so viel Einkommen erzielen, dass eine Stadthalle und ein Schwimmbad gebaut wurden, die, neben städtischem Kindergarten, evangelischer Kirche, Tretbecken und Grillhütte, noch immer zur Infrastruktur gehören. Stolz sind die Freienhagener, dass ein Teil des Holzes auch heute noch für Besitzer von Holzrechten bestimmt ist. Gerade in Zeiten von Gasknappheit ist die Brennholznutzung wieder hochaktuell.

1972 wurde Freienhagen in die Stadt Waldeck eingemeindet. Eine eigene Schule gibt es nicht mehr, die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel lässt zu wünschen übrig. „2013 waren wir schon einmal beim Wettbewerb dabei“, berichtet Schwechel. „Seitdem haben wir uns im Ortsbeirat Gedanken gemacht.“ Vor diesem Hintergrund gründete sich auch der Verein Landfluchtwende, der seit mehr als zwei Jahren immer besser zusammenarbeitet, strukturelle Probleme des Landlebens angeht und Wege in eine nachhaltige Zukunft zu ebnen sucht. Nun hat der Ort sich erneut beim Wettbewerb präsentiert, nach dem Motto „Bewertet uns mal!“ Mit einem Sieg im Regionalentscheid hatte jedoch wohl keiner gerechnet. Schwechel dankte allen Beteiligten herzlich und hob vor allem die Unterstützung durch die Landjugend hervor. „Sie ist die Grundlage für das zukünftige Vereins- und kulturelle Leben.“

Der Bürgermeister der Stadt Waldeck, Jürgen Vollbracht, sprach zu den Anwesenden im Namen der Nationalparkstadt. Er stellte heraus, dass der Wettbewerb dazu animiert, neue Ideen zu entwickeln und Dörfer nach vorne zu bringen. „Freienhagen hat sich aufgemacht, tolle Ideen entwickelt und ist nicht umsonst Sieger in der Region.“ Der Bürgermeister ist sich sicher, dass die vielen Initiativen auch nach Ende des Wettbewerbs weitergeführt werden. Er lobte das gute Miteinander in diesem Ortsteil von Waldeck. Besonders hob Vollbracht hervor, dass das alte Rathaus in Freienhagen aktuell zum Dorftreff umgewandelt wird. Bei den Freienhagenern sei dieses „Projekt in guten Händen“, lobte der Bürgermeister.

Landrat Jürgen van der Horst (Landkreis Waldeck-Frankenberg) gratulierte insbesondere allen Freienhagener Bürgern, die sich beim Wettbewerb engagiert haben. „Schon die Teilnahme am Wettbewerb lohnt: Das macht etwas mit einem Ort. Man rauft sich zusammen, verbringt Zeit miteinander – es ist ein Gewinn für die Gemeinschaft“, so der Landrat.

Zur Präsentation des zweitplatzierten Ortes waren Vertreter aus Brachttal-Streitberg (Main-Kinzig) angereist, welches in der Bewertung knapp hinter Freienhagen endete. Ortsvorsteher Torsten Gast stellte seinen 230 Einwohner zählenden Heimatort vor. In den letzten Jahrzehnten gingen dort viele Arbeitsplätze verloren. Der Altersdurchschnitt stieg durch demographischen Wandel und Wegzug. Über die Streitberger sagten andere: „die da oben…“ und meinten zum Beispiel, ein Dorfgemeinschaftshaus sei für die paar Einwohner nicht notwendig.

Die Bewohner selbst sahen das anders. Ursprünglich machten sich fünf Ortsbeiräte Gedanken und setzten bei ihren Bestrebungen den Erhalt der Infrastruktur an oberste Stelle. Die Trinkwasser- und Stromversorgung wurde zukunftsfähig gemacht, das Dorfgemeinschaftshaus in Schuss gebracht, das Feuerwehrhaus saniert. In privater Initiative entstand ein Museum für die dort beheimatete Wächtersbacher Keramik, das kürzlich einen Kulturpreis erhielt. Zwei Fotovoltaikparks, ein Trinkwasserhochbehälter und eine Spielplatzerneuerung sind geplant. Mit dem Programm „Junge Menschen kaufen alte Häuser“ wird von der Kommune der Zuzug und die Umnutzung von Leerstand gefördert.

Wichtige Vereine am Ort sind die Landfrauen und die freiwillige Feuerwehr mit ihrer aktiven Kinderfeuerwehr. Für eine lebendige Gestaltung wurden im Dorf Blühflächen und Rabatten angelegt. „Laut Umfrage wohnen alle Bewohner gern in unserem Dorf“, berichtet Gast stolz.

Unter dem Motto „Gestalten statt verwalten“ schauen die Streitberger nun voraus und bemühen sich um die Ausweisung von Bauplätzen. Auch wollen sie einen Dorfentwicklungsplan sowie ein Leerstandskataster erstellen. „Leidenschaft, harte Arbeit und ein unbeirrbarer Glaube an die Zielerreichung haben uns so weit gebracht“, meint Gast. Wichtig dabei sei das Ehrenamt. „Für den Wettbewerb haben wir uns mit Zukunftsplänen für unseren Ort auseinandergesetzt und somit Vorarbeit für den Dorfentwicklungsplan geleistet. Es war das erste Mal, das wir an einem vergleichbaren Wettbewerb teilnahmen und somit für alle eine Erfahrung.

Der Siegerort wurde präsentiert von Damaris Schäfer, Vorstand des Vereins Landfluchtwende. „In Freienhagen gibt es ein großes ehrenamtliches Engagement in vielen Bereichen“, sagt Schäfer, „und der Verein Landfluchtwende versteht sich dabei als ‚Motor und Möglichmacher‘. Wir wünschen uns allerdings bessere Unterstützung von kommunaler Seite, insbesondere, wenn es um Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge, zum Beispiel den ÖPNV geht.“ Auch während des Wettbewerbs sei klar geworden, dass „bei der kommunalen Unterstützung noch viel Luft nach oben ist.“

Beim Verein Landfluchtwende gibt es ein Team, das sich um die Realisierung des Dorftreffs kümmert. Die langwierige Vorbereitung wird aktuell durch die Umsetzung des rund 400.000 Euro schweren Projekts belohnt. Das Team Baubelebung möchte Potentiale für Um- oder Neubauten aufdecken. Sehr aktiv ist auch das Team Biodiversität und Klimaschutz, das bereits zahlreiche Projekte zur Förderung der Artenvielfalt von Flora und Fauna innerorts und außerorts umgesetzt hat. Das Team Mobilität hat dieses Jahr mit der Einführung eines Elektro-Bürgerbusses einen großen Erfolg verbucht. Der Bus kann für Linienfahrten mit ehrenamtlichem Fahrer sowie private Fahrten auf Spendenbasis gebucht werden. Das Team Öffentlichkeitsarbeit informiert und vernetzt Bürger über eine Webseite, eine Emailliste und eine WhatsApp-Gruppe.

In Freienhagen gab es in den letzten Jahren einen Zugewinn an wirtschaftlichen Initiativen, zusätzlich zu den bestehenden (u.a. zwei Metzgereien, Zimmerei, Tankstelle und Blumenladen). So wurden eine Kältetechnikfirma und eine solidarische Landwirtschaft gegründet. Der geschlossene Edeka wurde zum Unverpackt-Laden, die geschlossene Filiale der Waldecker Bank zur Massagepraxis. In einem Baudenkmal, dem historischen Wasserwerk, sollen in privatwirtschaftlicher Initiative Ferienwohnungen eingerichtet werden.

Auf kultureller Ebene läuft der Frankreichaustausch und es gibt ein vielfältiges Vereinsleben (freiwillige Feuerwehr, Turn- und Sportverein, Landfrauen, Landjugend, Chor, Gitarrenorchester, Sportschützen). Tradition und Brauchtum werden bei der Schützengilde gepflegt.

Die ersten und zweiten Plätze im Regionalentscheid berechtigten die Orte Freienhagen und Streitberg zur Teilnahme am Landesentscheid. Auch dort waren beide erfolgreich. Streitberg belegte Platz fünf. „In Freienhagen wurde die zweite Präsentation im Rahmen des Landesentscheides seitens vieler Teilnehmer als noch gelungener eingeschätzt als die erste. Allerdings ist die Konkurrenz auf Landesebene schon sehr erheblich. Freienhagen erhielt einen Sonderpreis für den Umgang mit Fragen des demografischen Wandels, also der zunehmenden Alterung sowie der Ab- und Zuwanderung“, sagt Ann-Katrin Heimbuchner vom Landkreis Waldeck-Frankenberg.

Nach der schwungvollen Tanzeinlage der Basdorfer Landjugend ging Landrat Van der Horst über zur Urkundenverleihung. Die Landkreise belohnten erstmals jeden teilnehmenden Ort neben der Urkunde auch mit einer Unterstützung von 500 Euro. In der Kategorie Entwicklungskonzepte erhielt Usingen-Kransberg (Hochtaunus) den mit 1000 Euro erstmals so hoch dotierten Sonderpreis für ein Garten-Projekt des Kindergartens. In der Kategorie Soziales und kulturelles Leben ging der Sonderpreis an Steinau an der Straße-Ulmbach (Main-Kinzig) für die Umnutzung des ehemaligen Nahkaufs als „Flüchtlingsoase“ mit Kleiderkammer, Café und Sprachkursen. Diemelsee-Adorf (Waldeck-Frankenberg) erhielt den Sonderpreis in der Kategorie Baugestaltung und Siedlungsentwicklung für eine attraktive Folgenutzung von Leerstand. In der Kategorie Grüngestaltung erhielt Vöhl-Asel (Waldeck-Frankenberg) den Sonderpreis für seinen Wissenstransfer im Bereich Fauna und Flora rundum dorfgerecht gestaltete naturnahe Freiflächen.

Im Anschluss wurden die Urkunden für die fünf bestplatzierten Orte des Regionalentscheids überreicht. Die Platzierungen waren mit Geldpreisen in Höhe von 1000 bis 5000 Euro verbunden. Auf Platz fünf landete Vöhl-Basdorf (Waldeck-Frankenberg), das seine Ortsmitte neu gestaltet hat, auf Platz vier Frankenberg-Geismar (Waldeck-Frankenberg), das dem Ort ein neues Gesicht gegeben hat und auf Platz drei Schlüchtern-Wallroth (Main-Kinzig), das sehr knapp hinter Streitberg und Freienhagen endete.

Zum Abschluss bedankte sich Göbel bei den vielen Helfenden der Feier. Der Wettbewerb habe Freude gemacht und zeige, wie Menschen Hand in Hand den geliebten ländlichen Raum voranbrächten. Die Kommissionsleiterin lobte die hohe Beteiligung in den Dörfern und die tollen Rundgänge, die die Kommission wahrnehmen durfte. „Die Begeisterung war ansteckend. Seien Sie weiter kreativ bei der Gestaltung ihrer Heimatorte!“

Unser Dorf braucht nicht mehr schöner zu werden…

…denn viele Dörfer sehen heutzutage schon gepflegt aus. So führt der 1961 entstandene Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ seit 1998 den Titel „Unser Dorf hat Zukunft“. Das Engagement der Einwohner sowie herausragende Ideen und Projekte zur zukunftsfähigen Entwicklung der Dörfer werden herausgestellt und sollen zur Nachahmung animieren. Bürger sollen ermutigt werden, die Zukunft ihres Heimatortes in die eigene Hand zu nehmen. Die Dorfgemeinschaft wird angestoßen, Chancen zu erkennen, die Lebensqualität auf dem Lande zu verbessern und das Landleben auch für die nachfolgende Generation attraktiv zu gestalten. Das Potenzial des ländlichen Raums wird aufgezeigt. Teilnehmen können Dörfer mit bis zu 3.000 Einwohnern.

Grundsätzlich wäre es wünschenswert, dass sich noch viel mehr Orte beteiligten“, so Heimbuchner. „Der Wettbewerb ist ein Gemeinschaftserlebnis, das in der Regel eine Welle von positiven Erfahrungen und zugleich Offenheit für neue Menschen mit sich bringt.

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