Wenn ein „liberaler, toleranter Kalif“ nach Bad Orb kommt…

Wenn ein „liberaler, toleranter Kalif“ nach Bad Orb kommt…

„Der Kalif“ Hasnain Kazim steht am 19. September auf der Bühne des Gartensaals

Bad Orb (ae/red). Hasnain Kazim kommt nach Bad Orb. Kazim, Journalist und Autor, Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer, ist mehrfach preisgekrönt, das Buch „Post von Karlheinz“, das seine Dialoge mit wütenden Lesern versammelt, stand viele Wochen auf der Bestsellerliste und ist inzwischen oft Schullektüre. Im September 2021 erschien sein erstes fiktionales Buch, die politische Satire „Mein Kalifat“, das „der Kalif“ nun am 19. September  in Bad Orb auf die Bühne bringen wird. Ein nicht ganz ernst gemeintes Interview. Das Gespräch führten Andrea Euler und Stephan Siemon. Ein Gespräch mit Podcaster Ralf Baumgarten gibt es nebenstehend (rechte Spalte) im Podcastplayer sowie als Video auf YouTube auf dem „Walk-Män“-Kanal.

Frage: Guten Tag, Servus, Moin, Grüß Gott, Salam Aleikum, Shalom, Namaste, Habe die Ehre.

Kazim: Mahlzeit, werte Untertänin, werter Untertan, Mahlzeit!

Frage: Herr Kazim kann ja nun kaum die richtige Anrede sein, wenn Sie doch dabei sind, ein Kalifat zu errichten. Wie dürfen wir Sie denn künftig anreden?

Kazim: Hochwohlgeborener Kalif wird ja wohl noch drin sein, oder? Euer Ehren, Eure Heiligkeit, Exzellenz oder Eure Majestät finde ich auch sehr passend. Herr Kazim geht aber auch, für Leute, die ich besser kenne, ist auch Hasnain in Ordnung. Meine Schulfreunde und die aus der Marine nennen mich Hansi. Außerdem möchte ich, wann immer ich angesprochen oder angeschrieben werde, den Zusatz „Möge er immer Zwiebelmettbrötchen in rauen Mengen zur Verfügung haben“ hören beziehungsweise lesen. Fehlt der, bin ich beleidigt.

Frage: Dürfen wir bitte, um der Form gerecht zu werden, in der Folge die verlangte, alle Redebeiträge stets abschließende Grußformel „Möge er immer Zwiebelmettbrötchen in rauen Mengen zur Verfügung haben“ in Schriftform abkürzen mit MeiZirMzVh? Woher kommt diese Formel überhaupt?

Kazim: Ich war einige Jahre bei der Bundeswehr, dort wurde mir die Liebe zu Abkürzungen befohlen. Daher ist „MeiZirMzVh“ völlig i. O. Die Formel kommt grundsätzlich daher, dass ich Zwiebelmettbrötchen mag und ich sie, vor allem seit ich im Ausland lebe, nämlich zuerst in Islamabad, Pakistan, dann in Istanbul, Türkei und nun in Wien, Österreich, vermisse. Diese Orte sind leider zwiebelmettbrötchenfreie Zonen. Die Idee, diesen Zusatz zu verlangen, kam mir an einem Tag, an dem ich zwei Auseinandersetzungen hatte: eine mit einer Frau, die mir vorwarf, ein bestimmtes Wort ausgesprochen zu haben, ein sehr rassistisches Wort, ja, aber ich hatte niemanden so bezeichnet und das Wort auch nicht einfach so dahingesagt, sondern wir sprachen gerade über Rassismus. Ihrer Meinung nach sei schon aus Aussprechen des Wortes eine „Reproduktion von Rassismus“.

Ich weiß, dass das viele in progressiven Kreisen so sehen, auf deren Seite ich ja stehe. Aber diese Sichtweise halte ich für, pardon, bekloppt. Und dann, am selben Tag, warf mir ein Muslim vor, ich würde den Propheten Mohammed beleidigen, weil ich nach dem Aussprechen seines Namens nicht den Zusatz „Friede sei mit ihm“ sage. Dabei hatte ich in der Situation völlig wertfrei über Religion gesprochen. Die eine regte sich also auf, weil ich ein ihrer Ansicht nach verbotenes Wort ausgesprochen hatte, der andere echauffierte sich darüber, dass ich eine bestimmte, seiner Meinung nach gebotene Floskel nicht aussprach. Und da dachte ich mir: Wenn so etwas ernsthaft die Gemüter erhitzt, dann verletzt es eben auch meine Gefühle, wenn man nicht „Möge er immer Zwiebelmettbrötchen in rauen Mengen zur Verfügung haben“ sagt, wenn man mit mir redet.

Frage: Es verwirrt ein wenig, dass Sie ein Kalifat errichten, aber selbst nicht mal ein Muslim sind (auch wenn  Ihr Name da bei einfacheren Gemütern andere Assoziationen weckt). Warum ein Kalifat? Warum nicht der König der Schrebergartensiedlung? Man könnte Ihnen glatt kulturelle Aneignung vorwerfen. MeiZirMzVh

Kazim: Entschuldigung, laut Grundgesetz, das nun als Grundscharia in unveränderter Form weiterhin gilt, herrscht Religionsfreiheit, also darf ja wohl jeder beziehungsweise jede ein Kalifat gründen! Und wie kommen Sie auf „König der Schrebergartensiedlung“? Sie wollen sich wohl lustig machen, was? Apropos lustig, die Debatten über „kulturelle Aneignung“ sind auch a bisserl lustig. Kultur, ja menschliches Leben besteht im Wesentlichen aus Aneignung. Lernen ist nichts anderes als ein Akt der Aneignung. Klar, es gibt auch problematische Fälle von „kultureller Aneignung“, aber das meiste, worüber derzeit Debatten oder besser: Scheindebatten geführt werden, ist unproblematisch. Und das Kalifat ist natürlich ein bewusster Akt der „kulturellen Aneignung“. Na und?

Frage: Grünkohl, Curry, Punschkrapfen und Mettbrötchen sind künftig Pflicht, was ist mit Lamm, Linsen und Kichererbsen? MeiZirMzVh

Kazim: Geht alles. Ich bin ein liberaler, toleranter Kalif. Es gibt keine verbotenen Speisen, keinen Apfel vom Baum der Erkenntnis, in den man nicht beißen darf. Wir sind auch kein vegetarisches oder, Allah bewahre, veganes Kalifat. Aber ich bin sehr dafür, achtsam mit Lebensmitteln umzugehen, sie nicht zu verschwenden. Und ich bin natürlich für einen respektvollen Umgang mit der Natur, mit unserer Umwelt. Dazu gehört auch das Bewusstsein, dass, wenn man Fleisch isst, ein Tier getötet werden musste. Ich bin froh, wenn es ein gutes Leben gehabt hat. Und im Ernst: Klar sind vegane Lebensmittel toll, da gibt es inzwischen fantastische Produkte. Wenn darin allerdings alle möglichen künstlich hergestellten Stoffe stecken und die Ökobilanz für die Herstellung genauso schlimm oder noch schlimmer ist als für ein nichtveganes Produkt, ergibt das keinen Sinn. Übrigens: Es gibt gute Rezepte für veganes Zwiebelmett, aber an echtes Zwiebelmett kommt das bislang nicht ran.

Frage: Wieso errichten Sie überhaupt ein Kalifat? Sie kommen aus Hollern-Twielenfleth, deutscher sozialisiert kann man doch kaum sein… MeiZirMzVh

Kazim: Also, Sie nehmen das mit der korrekten Anrede ja sehr ernst, Maschallah! Aber zu Ihrer Frage: Ich war viele Jahre Auslandskorrespondent in islamischen Ländern und habe als Reporter aus sehr vielen islamisch geprägten Regionen berichtet. Ich kann Ihnen aus eigener Anschauung sagen: Ja, wir haben in der Welt ein Problem mit Islamisierung, wenn man darunter eine Radikalisierung versteht, die Politik und im Grunde alle Lebensbereiche durchdringt. In Pakistan ist es ein seit Jahrzehnten andauernder, mal schleichender, mal galoppierender Prozess. In der Türkei benützt Präsident Recep Tayyip Erdoğan immer wieder den Islam als politisches Machtinstrument. Eines der übelsten Beispiele der jüngsten Vergangenheit: Afghanistan, wo eine extremistische Gruppe nach zwanzig Jahren Krieg die Macht zurückerobert hat und nun das Land nach ihren primitiven Vorstellungen gestaltet.

Schauen wir nach Bangladesch oder nach Ägypten, nach Syrien, in den Irak oder in den Iran: Überall wird Religion zu politischen Zwecken missbraucht. Es gibt noch viel mehr Beispiele. Aber wo wir wirklich kein Problem mit Islamisierung haben, ist in Sachsen. Ausgerechnet da rennen „Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes“ herum und schreien irgendeinen Blödsinn. Und ich dachte mir: Damit die nicht wie komplette Trottel dastehen, weil sie gegen etwas demonstrieren, das es gar nicht gibt, biete ich ihnen einen Grund für ihren Protest: Ich, Hasnain Kazim, rufe in Dresden, vor der Semperoper, das Kalifat aus! Das ist also ein Akt der Güte von mir, ein Service, für den mir die Typen von „Pegida“ und „AfD“ auf ewig dankbar sein sollten.

Und wieso wird gerade in Dresden in der Semperoper das Kalifat ausgerufen? MeiZirMzVh

Kazim: Das „MeiZirMzVh“ müssen Sie nur sagen, wenn Sie mich direkt ansprechen. Nicht nach jedem Satz oder nach jeder Frage. Ich stelle fest, Sie haben das Konzept noch nicht verstanden! So wie eine Menge Leute übrigens den Ausdruck „Maschallah!“ oft an unpassender Stelle verwenden. Ich sehe: Hier ist Unterricht nötig! Gerade in Dresden! Das Kalifat wird dort ausgerufen, weil sich dort „Pegida“ gegründet hat, weil dort die „AfD“ besonders stark ist und weil es mir leidtut, dass ausgerechnet in dieser schönen Stadt mit sehr vielen tollen Menschen eine nicht ignorierbare Minderheit ihre Dummheit stolz zur Schau trägt. Und außerdem Dresden, weil es dort hervorragende Eierschecke gibt. Sollten Sie unbedingt mal probieren!

Frage: Sie haben öffentlich (!) am 12. Juli angekündigt, dass Bad Orb ab dem 19. September eine „kalifatische Kulturmetropole“ sein wird. Und den künftigen kalifatischen Segensspruch „Urbi et Bad Orbi“ angekündigt. Welche Vergünstigungen darf sich die Bad Orber Bevölkerung von dieser Adelung denn versprechen?

Kazim: Es ist ja wohl genug der Ehre, dass Bad Orb sich künftig „kalifatische Kulturmetropole“ nennen darf! Aber gut, ich verstehe, dass die Menschen sich davon etwas mehr erhoffen, „Vergünstigungen“, wie Sie es nennen. Darüber können wir nach meinem Besuch reden. Ich erwarte aber zuerst, dass ein Marktplatz in Bad Orb in „Kalif-Kazim-Platz“ umbenannt und dort eine Statue aufgestellt wird. Oder wenigstens sollte irgendwo eine Tafel angebracht werden: „Am 19. September 2022 besuchte der Kalif Bad Orb“ oder so. Danach können wir über Vergünstigungen reden.

Frage: In Ihrem Kalifat wird es sicher auch eine leicht geänderte Rechtsprechung geben, etwa, wenn es darum geht, Harems zu erlauben. Was sind denn die wichtigsten Grundpfeiler dieser neuen Gesetzgebung?

Kazim: Nein, da scheinen Sie falsch informiert zu sein. Was lesen Sie, „Bild“? Die wird eh verboten. Und nur weil ich mir einen Harem zu halten erlaube, heißt das ja noch lange nicht, dass jeder dahergelaufene Wald-und-Wiesen-Untertan das darf.

Frage: Um etwas ernster zu werden: Hat Ihnen das Schreiben dieses Buches viel Spaß bereitet?

Kazim: Ach, bisher war es Ihnen also nicht ernst? Na gut, ernsthafte Antwort: Ja, es hat mir sehr großen Spaß gemacht. Es gibt Leserinnen und Leser, die mir sagen, sie würden das dem Text anmerken. Und dann gibt es welche, die mit dieser Art von Humor nichts anfangen können. Auch okay, auch wenn sie dafür natürlich im Kerker landen.

Kazim: Die Kulturtechnik des Humors ist ja nicht überall gern gesehen. Wir waren denn bislang die Reaktionen auf Ihr neuestes Buch?

Frage: Überwiegend sehr erfreulich. Die meisten Menschen verstehen meinen Humor. Es gibt natürlich auch ein paar, die irritiert sind, dass sie mich, den sie bislang als Journalisten kannten, nun in der Belletristik wiederfinden. Einige Rechtspopulisten glauben, ich würde ernsthaft ein Kalifat ausrufen und die Islamisierung Deutschlands vorantreiben wollen. Ein paar Muslime finden, man dürfe keine Witze übers Kalifat machen. Und ein paar Linke finden, ich würde „Stereotype reproduzieren“, zum Beispiel weil der Kalif auf dem Cover ein Turban tragender, bärtiger Mann sei.

Frage: Kritiker werfen Ihnen vor, sich über den Islam lustig zu machen. Wie sehen Sie das?

Kazim: Selbstverständlich darf man sich über Religion lustig machen. Über jede Religion. Humor kann ja auch eine Form von Kritik sein. Und natürlich darf das alles auch scharf, zugespitzt, beißend sein, das ist alles von der Meinungsfreiheit gedeckt. Ich selbst habe muslimische Wurzeln, schiitische, um genau zu sein, und bin christlich geprägt aufgewachsen im norddeutschen Dorf Hollern-Twielenfleth, evangelisch-lutherisch, um genau zu sein. Ich bin dem Islam gegenüber grundsätzlich wertschätzend, sehe aber eben auch Dinge, die Anlass zu Kritik bieten. Das Nichtertragen von Humor zum Beispiel. Ich habe mich übrigens in noch jungem Alter entschieden, konfessionslos zu sein. Was nicht bedeutet, dass ich Atheist bin. Ich glaube durchaus an das Göttliche, aber um zu glauben, brauche ich keine Männer und Frauen in seltsamer Kleidung, die mir sagen, was ich zu glauben habe.

Frage: Gibt es für Sie Grenzen des Humors, die Sie nicht überschreiten würden? Wie sehen Sie etwa den Humor bei „Charlie Hebdo“? Bringt der Sie zum Lachen?

Kazim: Natürlich kann jede Gesellschaft für sich Grenzen festlegen. Die sind dann aber nie in Stein gemeißelt, sondern können kritisiert, debattiert, verändert werden. Das ist ein Prozess. Oft werden solche Grenzen dann missbraucht. In Pakistan ist man schnell mit dem Vorwurf „Blasphemie“ zur Hand, wenn man jemandem schaden will. Solch ein Vorwurf kann zur Folge haben, dass man von einem Mob gelyncht wird. Oder dass man von einem Gericht zum Tode verurteilt wird. Völlig absurd, aber leider Realität. Ich selbst finde: Dürfen darf man alles, aber man sollte sich fragen, ob es gut, zielführend, klug ist. Ganz wichtig: Kontext! In welchem Zusammenhang, vor welchem Hintergrund, nach welcher Historie sage ich wem was in welchem Ton? Wäre ich Chefredakteur, würde ich zum Beispiel nicht ohne Anlass eine Mohammed-Karikaturen veröffentlichen, einfach weil ich weiß, wie sehr das provoziert und wozu das führt.

Nach massiven Morddrohungen oder nach einem Terroranschlag wegen einer Karikatur würde ich darüber aber sehr wohl nachdenken. Denn dürfen darf man schon. Und das müssen diejenigen, die sich angesprochen fühlen, aushalten können. Sie fragen nach „Charlie Hebdo“. Ganz ehrlich: Ich fand vieles von dem, was die gemacht haben, furchtbar. Rassistisch, islamophob, menschenverachtend. Wenn einen das stört, muss man dieses Blatt nicht lesen, nicht kaufen, kann das Abo kündigen, kann demonstrieren, zum Boykott aufrufen, kritische Texte dazu schreiben. Aber was nie, nie, nie geht, ist: physische Gewalt auszuüben. Wenn also Terroristen in die Redaktion eindringen und Kolleginnen und Kollegen ermorden, nur weil sie sich durch deren Arbeit beleidigt fühlen, sage ich mit der größten Selbstverständlichkeit: Je suis Charlie.

Frage: Gibt es eine Frage, die Ihnen noch nie in einem Interview gestellt wurde, die Sie aber gerne beantworten würden?

Kazim: Ja, bis eben die Frage: „Gibt es eine Frage, die Ihnen noch nie in einem Interview gestellt wurde, die Sie aber gerne beantworten würden?“, die ich folgendermaßen beantworte: Ja, bis eben die Frage: „Gibt es eine Frage, die Ihnen noch nie in einem Interview gestellt wurde, die Sie aber gerne beantworten würden?“, die ich folgendermaßen beantworte: Ja, bis eben und so weiter und so fort…

Frage: Und: Wird Ihre neue Sicherheitsberaterin Frau Dr. Bohne Sie auf Ihrer Reise nach Bad Orb begleiten?

Kazim: Frau Dr. Bohne, ein Jagdterrier-Mischling, ist noch in der Probezeit. Während ich auf Reisen bin, führt sie die Geschäfte in meinem Büro. Sie muss sich da erst noch beweisen, sie ist ja noch sehr jung. Aber sie lässt die Menschen in Bad Orb recht herzlich grüßen.

Eintrittskarten zur Veranstaltung

Eintrittskarten zur Veranstaltung sind ab sofort in der Tourist-Information Bad Orb, Kurparkstraße 2, unter Tel. 06052 83-14, bei der Buchhandlung Dichtung & Wahrheit, Obertor 5 in Wächtersbach oder im Internet unter www.bad-orb.info erhältlich.

Zum Bild: Hasnain Kazim, Wien, 2019, Copyright www.peterrigaud.com,

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