22. August: Kurbjuweit liest aus dem „Ausflug“

22. August: Kurbjuweit liest aus dem „Ausflug“

Bad Orb (ae). Dirk Kurbjuweit kommt nach Bad Orb. Er stellt am Montag, 22. August, ab 19.30 Uhr in der Konzerthalle in der Reihe „Bad Orb er-lesen“ seinen neuen Roman „Der Ausflug“ vor, einen aufrüttelnden Gesellschaftsroman über Rassismus, deutsche Mentalitätsgräben und eskalierende Gewalt. Kurbjuweit studierte Volkswirtschaft und arbeitete von 1990 bis 1999 bei der „Zeit“. Dann wechselte er zum SPIEGEL, war Reporter, Autor, Leiter des Hauptstadtbüros und stellvertretender Chefredakteur. Derzeit arbeitet er wieder im Hauptstadtbüro. Im Interview spricht er über Journalismus und Literatur, brüchige Werte und künftige Filmpläne.

Redaktion: Herr Kurbjuweit, Sie haben 2013 in dem Essay „Einer von mir“ geschrieben: „Das Problem des Romans ist, dass er mehr Plausibilität braucht als das Leben. In einer Reportage kann man jede Geschichte aus der Wirklichkeit erzählen, selbst die abstruseste. Eine fiktionale Erzählung dagegen muss einleuchten. Das ist das Paradox.“ Würden Sie Ihren neuesten Roman als „einleuchtend“ bezeichnen? 

Kurbjuweit: Ja, unbedingt. Einleuchtend heißt nicht, ist schon so passiert oder wird genauso passieren. Literarisch einleuchtend heißt: Es ist vorstellbar, es könnte in ähnlicher Weise möglich sein. Hetzjagden auf Migranten haben wir erlebt, wahre Mordzüge auch, zum Beispiel in Hanau. Und ob es einen rassistischen Reflex auch bei liberalen, weltoffenen Menschen geben kann – dazu kann sich jeder selbst befragen.

Redaktion: Sie sind im Brotberuf Journalist und in der Lage, mit wenigen Worten komplexe Zusammenhänge darzustellen. In Ihrem Roman allerdings scheinen Sie Wert darauf zu legen, Dinge eben gerade nicht zu (be-)schreiben. Warum?

Kurbjuweit: Journalismus und Literatur funktionieren nach vollkommen verschiedenen Gesetzen. Der Journalist spricht alles aus, sagt, was ist, sein oberstes Gebot ist die Verständlichkeit in jeder Zeile. Literatur, nach meinem Verständnis, hält die Dinge eher in der Schwebe, deutet an, lässt offen. Sagen wir so: Der Journalist baut mit seinem Text ein vollständiges Haus, mit Fenster, Türen, etc. Der Schriftsteller schafft nur das Fundament und die Grundstruktur. Für den Rest sind die Leserinnen und Leser zuständig. Sie bauen das Haus mit ihren Gedanken zu Ende.

Redaktion: Halten Sie Werte wie Treue, Freundschaft und Solidarität wirklich für so brüchig, wie das in dem Buch den Anschein macht?

Kurbjuweit: Leider.

Redaktion: Warum haben Sie sich für das Thema Rassismus entschieden? Halten Sie das für ein drängendes Problem unserer Zeit?

Kurbjuweit: Rassismus ist ein großes Problem. Viele Menschen, die in Europa oder in den USA eine andere Hautfarbe haben als weiß, können von rassistischen Erfahrungen berichten. Und sie tun das mehr und mehr. Das verunsichert einen Teil der weißen Bevölkerung, sie müssen sich fragen, ob sie wirklich so sind, wie sie immer dachten, nämlich weltoffen und liberal. Oder versteckt sich nicht doch eine Spur von Rassismus in ihrem Gemüt? Es gibt einen neuen Anspruch an die weiße Selbstreflektion. Dem sollten wir Weiße gerecht werden, finde ich.

Redaktion: In „Zeit online“ wird „Der Ausflug“ als philosophisches Gedankenexperiment bezeichnet. War das der Anspruch, mit dem Sie das Buch geschrieben haben?

Kurbjuweit: An Philosophie habe ich nicht gedacht, an ein Gedankenexperiment schon.

Redaktion: Wie verläuft bei Ihnen der Schreibprozess: Haben Sie das Ende schon im Blick, oder entwickelt sich die Handlung bei Ihnen während der Arbeit fortlaufend?

Kurbjuweit: Ich entwickle vor dem Schreiben einen genauen Fahrplan für meine Geschichte. Daran halte ich mich weitgehend.

Redaktion: Es werden ja keine Orte genannt, aber Sie haben selbst gesagt, geschrieben wurde der Roman im Spreewald. Ostdeutschland, vielleicht Spreewald: Würden Sie dorthin einer Einladung zu einer Lesung folgen?

Kurbjuweit: Die Idee zu diesem Roman entstand tatsächlich im Spreewald, aber er spielt nicht im Spreewald, sondern an einem fiktiven Ort. Jederzeit würde ich im Spreewald lesen.

Redaktion: Als was genau würden Sie Ihren Roman beschrieben? Groteske? Politischer Roman? Parabel? Horrorgeschichte? Vielleicht sogar eine Satire?

Kurbjuweit: Nichts davon. Es ist ein Roman, Punkt.

Redaktion: Die Kritik erkennt in Ihrem Buch Anleihen bei Joseph Conrad: „Herz der Finsternis“. Zu Recht?

Kurbjuweit: Ich habe nicht bewusst an „Herz der Finsternis“ gedacht. Aber dieser Roman und der Film „Apocalypse Now“, der sich an das „Herz der Finsternis“ anlehnt, sind tief in meinem Gemüt verankert. Ich kann daher nicht ausschließen, dass sie Einfluss auf meinen Roman hatten. 

Redaktion: Das schwarz-weiße Cover passt sehr gut zum Text. Wie sehen Sie das?

Kurbjuweit: Ein wunderbares Cover, das zugleich schön und treffend ist.

Redaktion: Wie zu lesen ist, soll der Roman verfilmt werden. Können Sie uns dazu schon ein paar Details mitteilen? 

Kurbjuweit: Tatsächlich existiert bereits ein Drehbuch für eine Verfilmung, als Regisseur wurde der Oscar-Preisträger Stefan Ruzuwitzky gewonnen. Ob dann tatsächlich ein Film entsteht, ist eine große Frage. Oft scheitern solche Projekte an der Finanzierung. Aber ich hoffe natürlich, dass es gelingt.

Eintrittskarten zur Veranstaltung sind ab sofort in der Tourist-Information Bad Orb, Kurparkstraße 2, unter Tel. 06052 83-14, bei der Buchhandlung Dichtung & Wahrheit, Obertor 5 in Wächtersbach oder im Internet unter www.bad-orb.info erhältlich.

Eintrittskarten gibt es für je 12,- Euro (ermäßigt zu 6,- Euro für Schüler:innen, Student:innen, Inhaber:innen der Ehrenamtscard und Schwerbehinderte ab 60 Prozent GdB).

Zum Bild: Dirk Kurbjuweit präsentiert in der Reihe „Bad Orb er-lesen“ seinen neuen Roman „Der Ausflug“. Copyright Foto: Susanne Schleyer/autorenarchiv.de

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