Gegen die Unterversorgung an Hausärzten vorgehen

Gegen die Unterversorgung an Hausärzten vorgehen

Main-Kinzig (MKK/fw). Wie viele Hausarztpraxen drohen zu schließen in den nächsten Jahren? Wo im Kreisgebiet könnte eine Unterversorgung drohen? Der Main-Kinzig-Kreis hat die Antworten auf diese drängenden Fragen gefunden. Im vergangenen Jahr hat Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler eine Studie dazu in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse sind in den vergangenen Wochen den politischen Gremien des Kreistags vorgelegt worden. Das Erarbeiten von Lösungen hat im Main-Kinzig-Forum indes schon begonnen.

Umfangreiche Studie des Kreises: In nächsten Jahren drohen große Versorgungslücken – Simmler: „Wir müssen jetzt akut gegensteuern“

Die Ergebnisse der Untersuchung geben keinen Anlass für Entwarnung, im Gegenteil. „In den nächsten drei Jahren planen rund zehn Prozent unserer Hausärztinnen und Hausärzte, ihre Praxis aufzugeben, in den nächsten zehn Jahren sind es sogar über 40 Prozent. Gleichzeitig klagen immer mehr Praktizierende, dass die Nachfolge nicht geklärt ist, weil die Interessenten fehlen“, berichtet Gesundheitsdezernentin Susanne Simmler. „Wir müssen jetzt akut gegensteuern, sonst haben wir in absehbarer Zeit ein veritables und lang anhaltendes Versorgungsproblem im Bereich der Hausarztpraxen.“

Wenn einzelne Praxen geschlossen werden, müssen Patientinnen und Patienten längere Wege und längere Wartezeiten in Kauf nehmen. Wenn viele Praxen schließen, dann droht eine flächendeckende Unterversorgung. Vor dem Hintergrund einer insgesamt älter werdenden Gesellschaft könne man dieser Entwicklung nicht einfach tatenlos zusehen, so Simmler.

Mit der Studie zur hausärztlichen Versorgung hat der Main-Kinzig-Kreis die Situation im gesamten Kreisgebiet in den Blick genommen. Erstmals gibt es eine über alle Gemarkungsgrenzen hinweg gerichtete, tiefgreifende Analyse der Versorgungslandschaft heute und auf mittlere Sicht. „Wir haben eine fundierte quantitative und qualitative Erhebung: Wo drohen echte Engpässe? Wo sehen die Medizinischaffenden selbst die Probleme und mögliche Lösungen? Darauf können wir dann im nächsten Schritt aufsetzen und Initiativen starten. Ein Ergebnis ist allerdings keine Überraschung: Die Lösung auf Knopfdruck gibt es nicht“, erklärt Simmler.

Wesentliche Ergebnisse der Studie:

  • Ø  Für gut die Hälfte der Hausarztpraxen im Kreisgebiet stellt sich in den kommenden zehn Jahren die Nachfolge-Frage. In vielen Fällen ist diese Frage vor allem deshalb drängend und völlig offen, weil die Ärztinnen und Ärzte Sorge haben, keinen Nachfolger zu finden. Das ist besonders unter denjenigen verbreitet, die in einer Einzelpraxis arbeiten – und das sind etwa 40 Prozent. Sie sehen diese Organisationsform bei der Suche nach einem Nachfolger als hinderlich an.
  • Ø  Als besonders gefährdet werten die Befragten die Versorgung dort, wo Praxen in kleineren Städten und Gemeinden liegen.
  • Ø  Die Medizinerinnen und Mediziner haben teils übereinstimmende, gemeinsame Ideen, wie die Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger gelöst werden könnte, etwa über Weiterbildungsassistenten in der Praxis. Allerdings beschäftigen darüber tatsächlich nur wenige von ihnen Kolleginnen und Kollegen. Aus Sicht der Ärzteschaft stimmen einige Rahmenbedingungen nicht.
  • Ø  Die Bereitschaft der Hausärzte, in einer Kooperationsform wie Gemeinschaftspraxis oder Gesundheitszentrum zusammenzuarbeiten ist mit 55 Prozent sehr hoch.

Die Studie ist im Amt für Gesundheit und Gefahrenabwehr erstellt worden, durch die Koordinatorin für medizinische Versorgung Julia Fock, ihre Kollegin Esmanur Öztürk sowie ihrem Kollegen Dr. Jasper Plath. Sie haben sich nicht alleine auf öffentlich zugängliche Daten gestützt, sondern eigene Daten erhoben und alle Hausärztinnen und Hausärzte zu einem Interview gebeten. Insgesamt 175 Medizinerinnen und Mediziner haben teilgenommen, was letztlich gut zwei Dritteln aller Hausärzte entspricht.

Julia Fock betont, dass mit den Interviews in 29 Städten und Gemeinden ein repräsentatives Bild entstehen konnte. Einige der Ergebnisse hatte sie alleine aus ihrer regelmäßigen Beschäftigung mit dem Thema der ärztlichen Versorgung erwartet. Und doch zeigte sie sich von den Ergebnissen nach der „umfänglicheren Betrachtung“ beeindruckt. „Die hohe Teilnehmerquote haben wir nicht erwartet. Das ist ein überragendes Ergebnis und zeigt wie wichtig der Ärzteschaft  es ist, dass ihre Patienten weiterversorgt werden. Das Thema brennt fast allen Hausärzten unter den Nägeln. Ganz besonders freut mich die positive Resonanz darauf, dass der Main-Kinzig-Kreis bei der Sicherung der Versorgung unterstützen möchte“, so Julia Fock. Viele Hausärzte hätten erkannt, warum eine Nachfolgersuche schwierig ist und seien auch bereit, dafür andere Wege zu gehen. „Als Koordinationsstelle möchten wir dabei unterstützen, damit das auch gelingt.

Für Dr. Wolfgang Lenz, den Leiter des Amts für Gesundheit und Gefahrenabwehr, zeichnen sich vielfältige Schnittmengen zwischen den Problemen im Hausärztebereich und jenen in anderen medizinischen Bereichen ab. „Das Problem mit der Nachfolge von älteren Kolleginnen und Kollegen ist in den Kliniken und im Rettungswesen recht ähnlich, auch wenn hierdurch nicht unmittelbar ein ganzer Praxisbetrieb als gar ein ganzer Standort bedroht ist. Aber wir sprechen ja von einer drohenden Unterversorgung durch fehlendes Personal, und dieses Problem haben wir in vielen Feldern. Das ist gleichzeitig auch die Möglichkeit, es gemeinsam und mit vereinten Kräften anzugehen“, merkt Lenz an.

Parallel zur Studie hat in den vergangenen Wochen die Lenkungsgruppe „Medizinische Versorgungsstrukturen im Main-Kinzig-Kreis“ getagt. Fachleute aus dem Krankenhauswesen, der Ärzteschaft, der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, der Politik, der Verwaltung sowie dem Allgemeinmedizinischen Weiterbildungsverbund Main-Kinzig-Kreis haben sich mit den ersten Ergebnissen bereits befasst und die thematischen Schnittmengen vertieft. „Wir stehen mit der nächsten Etappe erst am Anfang. Jetzt brauchen wir den konkreten Austausch mit dem Medizinbereich, jetzt brauchen wir Gesprächsforen und weitere Pilotprojekte, jetzt geht es an die Lösungen“, so Julia Fock.

Als vier gemeinsame Handlungsfelder umreißen die Autoren der Studie die Bereiche Nachwuchsförderung, Innovative Versorgungsstrukturen, attraktive Arbeitsbedingungen für die junge Ärzteschaft und Strategien, um dem steigenden Versorgungsaufwand zu begegnen. Das Erarbeiten von Handlungsempfehlungen soll mit allen beteiligten Akteuren erfolgen, also eben auch der Ärzteschaft, um wirksame Folgeprojekte zu identifizieren und umzusetzen. Der Main-Kinzig-Kreis wird sich neben der Arbeit rund um die Lenkungsgruppe auch externe Expertise einholen.

Susanne Simmler verweist darauf, dass auch während der Studie bereits gehandelt worden ist. „Wir haben ziemlich schnell in den Interviews und den Fachrunden konkrete und akute Probleme erkannt. Wir wussten also, wo es regional besonderen Handlungsdruck gibt und haben nicht erst die Veröffentlichung der Studie abgewartet. Ein wichtiges Projekt haben wir so bereits angestoßen, nämlich das interkommunale Projekt von Bad Orb, Biebergemünd, Jossgrund und Flörsbachtal“,  erklärte Susanne Simmler.

In diesen vier Spessart-Kommunen arbeiten der Kreis, die Kommunen und die Ärzteschaft nun Hand in Hand. Es geht darum, neue Räumlichkeiten für die Ärztinnen und Ärzte zu suchen und neue Kooperationsmodelle vorzubereiten. Die hausärztliche Versorgung soll so in allen Kommunen stabilisiert und auf mittlere Sicht auch wieder verbessert werden. Die Kommunen helfen sich gegenseitig, tauschen sich über Erfahrungen aus und treten auch bei der Suche nach Personal gemeinsam in Erscheinung.

Dennoch: Ein Patentrezept kann es für die Bewältigung des Problems nicht geben, gerade weil sich so viele verschiedene Handlungsfelder auftun. Susanne Simmler sieht aber auch Chancen für die nächsten Jahre. „Es gibt eine hohe Bereitschaft unter den Ärztinnen und Ärzten, alternative Versorgungsmodelle einzugehen. Ein Drittel der Befragten kann sich sogar vorstellen, in Anstellung zu arbeiten. Und die Bereitschaft, sich auch räumlich zu verändern, ist grundsätzlich vorhanden. Das sind alles Anknüpfungspunkte für die nächsten Schritte, die wir besprechen wollen“, so die Erste Kreisbeigeordnete.

Die ausführliche Studie ist dem Kreistag am 8. Juli vorgelegt worden und im Bürgerinfoportal auf der Internetseite des Main-Kinzig-Kreises zu finden (www.mkk.de).

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