NI kritisiert großflächige Schadholzräumungen im hessischen Staatsforst

NI kritisiert großflächige Schadholzräumungen im hessischen Staatsforst

Hessen (NI/np/hn). In einem Schreiben an die hessische Umweltministerin Priska Hinz (Bündnis 90/ Die Grünen) hat die Naturschutzinitiative e.V. (NI) erneut die landauf und landab praktizierten, großflächigen Räumungen von Schadhölzern, zumeist Fichten, sowie die fast flächigen Befahrungen der Böden mit schweren Holzerntemaschinen angeprangert. Im Fokus stehen hierbei vor allem Borkenkäfer-Kalamitätsflächen im nordhessischen Reinhardswald, wo laut Landesbetrieb Hessen-Forst seit 2018 rund 5.000 Hektar kahlgeschlagen wurden.

NI erstattet Anzeige: „Unbelehrbar und ökosystem-vergessen“

Nach Einschätzung von Norbert Panek, Buchenwaldexperte und Wissenschaftlicher Beirat der NI, hätten die großflächigen Räumungen und die damit verbundenen Bodenschäden zu starken Eingriffen geführt, die in ihrer Dimension und Schwere die „Leistungs- und Funktionsfähigkeit des örtlichen Naturhaushaltes erheblich beeinträchtigen“ und somit gegen naturschutzrechtliche Vorgaben verstoßen. Daher habe die Naturschutzinitiative e.V. (NI) im Fall Reinhardswald mittlerweile eine Anzeige zur Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens gegen den Landesbetrieb Hessen-Forst auf den Weg gebracht. Bereits im November 2021 hatte die NI die hessische Umweltministerin Hinz aufgefordert, diese Räumungen im Staatswald landesweit umgehend einzustellen.

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Knapp 30.000 Hektar Staatsforst geräumt

Nach Angaben des hessischen Umweltministeriums würden die Kalamitätsflächen im Staatsforst (Stand: Juni 2021) rund 30.000 Hektar, also rund neun Prozent der Staatswaldfläche umfassen. Auf rund sechs Prozent dieser Schadflächen seien die abgestorbenen Fichten bislang noch nicht geräumt worden. Bis September 2019 seien für die Räumung von Kalamitätsflächen im Privat- und Kommunalwaldbereich rund 30 Millionen Euro geflossen. Aktive Waldzerstörung würde so mit öffentlichen Steuergeldern subventioniert, kritisiert NI-Vorsitzender Harry Neumann.

Im Fall Reinhardswald war nicht zu erkennen, dass bei der Planung und Durchführung der Räumungsmaßnahmen die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege beachtet wurden“, kritisiert Panek. Auf der von der NI näher untersuchten Stichprobenfläche („Roter Stock“) waren nach Auswertung von Satellitenbildern (des Jahres 2020) von den dort festgestellten Kalamitätsflächen rund 91 Prozent (1.313 Hektar) maschinell komplett geräumt; bei lediglich etwa neun Prozent (127 Hektar) handelte es sich um nicht geräumte, stehend/liegend abgestorbene Baumbestände.

Ohne Rücksicht auf Verluste  

Mögliche mikro- und lokalklimatische Folgen, die mit dem kompletten Kahlschlagen der Flächen verbunden sind, blieben offensichtlich unberücksichtigt. Selbst in sensiblen Quellbereichen wurden die Räumungen ohne Rücksicht auf die dortigen natürlichen Gegebenheiten durchgeführt. Panek weiter: „Zudem wurden im Reinhardswald die Böden auf einer Fläche von fast 500 Hektar in Streifen teilweise bis auf das Ausgangsgestein freigelegt, was der Wirkung eines Tiefpflügens gleichkommt und in das gewachsene Bodengefüge irreparabel eingreift.“ Vom zuständigen Umweltministerium wird die Maßnahme und deren Wirkung vehement bestritten. Ebenso werde die „Klimawirksamkeit“ der Flächenräumungen in Frage gestellt. Auch die „Kohlenstoffbilanz“ sei, so das Ministerium, „voraussichtlich nicht negativ zu bewerten“, obwohl die verheerenden Auswirkungen beispielsweise hinsichtlich der CO2-Freisetzung sowie der landschaftsklimatischen Effekte durch zahlreiche aktuelle Forschungsstudien hinreichend belegt seien, ergänzt Panek.   

Für den NI-Vorsitzenden Neumann bleibt festzustellen: Die derzeit gängige und vom Landesbetrieb Hessen-Forst verteidigte Forstpraxis entspreche nicht dem aktuellen Wissensstand der Wald-Ökosystemforschung; sie sei weder mit dem gesetzlich verankerten Grundprinzip der Nachhaltigkeit noch mit den Zielen einer „klimawandel-angepassten und ökosystem-basierten Forstbewirtschaftung“ vereinbar. Die Borkenkäfer-Bekämpfungsmaßnahme, die vermeintliche ökonomische Schäden eindämmen oder verhindern sollte, stünde in keinem Verhältnis zu den ökologischen Schäden, die die Maßnahme im Reinhardswald angerichtet habe. Die Rechtfertigungen, die das zuständige Umweltministerium zur Begründung der Räumungsmaßnahmen anführt, „folgen weitgehend einer linear-kausalen Sichtweise sowie einer gewissen Ökosystem-Vergessenheit“, kritisiert Panek.

Aus Sicht der NI sei weder rational noch sachlogisch nachvollziehbar, weshalb sowohl der Landesbetrieb Hessen-Forst als auch das Umweltministerium weiterhin an einer Praxis festhalte, „deren ökologische Schädlichkeit wissenschaftlich bewiesen ist und sich im Einzelfall (Reinhardswald) immer wieder bestätigt.“

Die NI hat die hessische Umweltministerin Hinz erneut aufgefordert, in ihrer Zuständigkeit dafür zu sorgen, dass die Großflächen-Schadholzräumungen zumindest im hessischen Staatswald endlich umgehend eingestellt werden.

Bilder: „Gepflügte“ Waldböden auf geräumter Schadholzfläche im „Reinhardswald“. Fotos: Norbert Panek

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